Einrichtung einer Enquetekommission „Zukunft der Familienpolitik in Nordrhein-Westfalen“

Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren!

Ja, Kinder-, Jugend- und Familienpolitik genießt in der Zwischen-zeit auch in allen gesellschaftlichen und politischen Diskussionen einen hohen Stellenwert, und das nach den vielen Jahren als Nischenthema. Ich will nicht verhehlen, dass es auch einmal einen sozialdemokratischen Kanzler gegeben hat, der von Gedöns gesprochen hat.

Endlich ist es so, dass wir mit dem Thema „Familienpolitik“ mitten in der Gesellschaft, im gesellschaftspolitischen Diskurs angekommen sind. Ich glaube – das kann ich sagen –, es ist auch ein bisschen den engagierten Familienpolitikerinnen und -politikern auf allen politischen Ebenen zu verdanken, dass das in der Zwischenzeit so ist.

Das Politikfeld „Familienpolitik“ genießt auch einen hohen Stellenwert in allen Parteien. Kinder- und Familienpolitik ist – mit unterschiedlichen Ausprägungen – natürlich in der Zwischenzeit auch der Markenkern vieler politischer Diskurse innerhalb der unterschiedlichen Parteien. Unabhängig von der Farbenlehre in den Regierungen auf Landesebene wurde deshalb dementsprechend in den zurückliegenden Jahren für Familien und Kinder viel in die Wege geleitet.

Über manche Förderinstrumente, zum Beispiel die Herdprämie, lässt sich zweifellos auch in diesem Haus vortrefflich streiten. Unstrittig ist jedoch, dass mit dem Ausbau der Kita-Betreuungsplätze, dem Elterngeld und jetzt dem Elterngeld Plus – um nur einige Punkte zu nennen – Maßnahmen geschaffen wurden, um Eltern das Leben in unserer Gesellschaft zu erleichtern. Flankiert wird diese Förderung mit fiskalischen Instrumenten, die sich – bestenfalls – bewährt haben, aber auch den heutigen Familienmodellen nicht mehr wirklich entsprechen.

Doch es bleibt fraglich, ob wir damit den Bedürfnissen von Familien ausreichend gerecht werden. Es ist selbstkritisch zu hinterfragen, ob wir nicht in einer sich stetig wandelnden Gesellschaft die immer neuen Herausforderungen an Familie, Kinder und Eltern immer wieder mit neuen Diskussionen und mit dem Ringen um Antworten, um Probleme lösen zu können, tatsächlich beantworten müssen.

Wir müssen auch hinterfragen, inwieweit bestehende Angebote tatsächlich von Familien genutzt werden und wie wir es schaffen, dass bereits existierende Angebote noch mehr genutzt werden, ohne dass Eltern das Gefühl bekommen, sie sollen bevormundet werden, sondern sie sollen die Angebote als das verstehen, was sie sind: Unterstützungsleistungen. So wird zum Beispiel das wirklich gute Elternstartprogramm noch nicht in der Form frequentiert, wie wir uns das alle wünschen. Auch beim Elterngeld müssen wir dahinkommen, dass Elternzeit nicht mehr in Haushalten mit Doppelverdienern oder nach dem Einkommen, sondern nach dem Willen und dem Wunsch nach Elternzeit entschieden wird.

Was die Chancen von Kindern betrifft, haben wir bereits im Jahr 2008 eine Enquetekommission gemeinsam erfolgreich abgeschlossen.

Die Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen des damaligen Berichts – wie die Versorgung mit U3-Plätzen oder die Abschaffung der Elternbeiträge – bestimmen noch heute unsere politischen Debatten und sind zum Teil auch schon umgesetzt.

Dank dieser Enquetekommission wissen wir, welche Rahmenbedingungen und Steuerungsmöglichkeiten für ein optimales Betreuungs- und Bildungsangebot in Nordrhein-Westfalen erforderlich sind. Aber wir müssen noch einen Schritt weitergehen und uns tatsächlich den Familien zuwenden.

Ich glaube, ein Angebot dieser Enquetekommission besteht darin, dass wir die traditionellen Familien- und Weltbilder einem ausgiebigen Faktencheck unterziehen und uns Gewissheit darüber verschaffen, was die Familien in unserem Land tatsächlich brauchen. Allem voran müssen wir mit dieser Enquetekommission die sozialen Milieus betrachten und uns intensiv mit ihnen auseinandersetzen, um ein realistisches Bild vom Lebensalltag von Familien, von Alleinerziehenden, Kindern, Jugendlichen, Migrantinnen und Migranten, Einelternfamilien oder Großelternfamilien zu bekommen.

Uns ist klar, dass ein Bild von Familienpolitik ohne den Blick auf Lebensstile, soziale Lage und Wertediskurse in den Milieus unvollständig ist; denn diese soziologischen Faktoren bestimmen Familien und Jugendliche, und sie bestimmen auch die Art und Weise, wie diese die Instrumente nutzen, die wir Ihnen anbieten.

Meine Damen und Herren, ein wichtiger Punkt für uns ist die Frage nach der Zeit, die die Familienmitglieder miteinander verbringen. Eine weitere wichtige Frage ist, wie die Vereinbarkeit von Familien mit dem Arbeitsleben besser in Einklang gebracht werden kann. Nicht ganz zu Unrecht sprechen heute viele im gesellschaftlichen Diskurs von der Vereinbarkeitslüge. Hier müssen wir die Instrumente, die wir heute haben und die den Familien zur Verfügung stehen, hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und hinsichtlich der Frage, wie Familien sie empfinden, kritisch hinterfragen und überprüfen.

Wir wollen noch einen letzten Aspekt einbringen: Jugendliche sind beim Diskurs über Kinderbetreuung und über die Frage, wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf hergestellt werden kann, ein bisschen aus dem Blick geraten. Deshalb wollen wir uns neben der Frage nach der Zeit, die Familienmitglieder miteinander verbringen, auch damit auseinandersetzen, wie für Jugendliche mehr Freiräume geschaffen werden können, um selbstbestimmte Wesen in der Gesellschaft zu werden.

Meine Redezeit ist leider zu Ende. Über Familien könnte man lange sprechen. Aber wir haben jetzt zwei Jahre intensiver Diskussionszeit vor uns. – Vielen Dank.