Koalitionsvertrag „zu Lasten Dritter“: Länder proben den Aufstand gegen Steuerpläne im Bund

Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Die Hinweise von Herrn Petersen haben mich dann doch dazu verleitet, noch einmal etwas zu den „großen“ familienpolitischen Leistungen zu sagen, die in dem Koalitionsvertrag zu finden sind.

Ich glaube, im Zentrum steht eben nicht unbedingt die Erhöhung des Familienfreibetrags und auch nicht die Erhöhung des Kindergelds. – Was das anbelangt, kann ich Ihnen aber sagen: Der Jubel ist insofern verhalten, als man, gemessen an den Kindergelderhöhungen in den letzten Legislaturperioden – in den letzten elf Jahren –, feststellen muss, dass die Kindergelderhöhung, die diese Koalition jetzt ankündigt, eher sparsam ausfällt.

Wie auch immer: Selbst wenn man der Auffassung ist, dass dies das richtige Signal ist, wird all dies – das können Sie keinesfalls bestreiten – in der öffentlichen Wahrnehmung durch eine andere Maßnahme, auf die Sie sich in Ihrem Koalitionsvertrag verständigt haben, stark konterkariert, und auch die Leistung Ihrer Bundesfamilienministerin wird in der Zwischenzeit sehr stark angezweifelt: Es geht nämlich um das Betreuungsgeld. Wenn Sie, Frau Freimuth, fragen, was wir für ein Bürgerverständnis haben, darf ich doch einmal vorsichtig zurückfragen: Was haben Sie eigentlich für ein Familienverständnis?

(Beifall von der SPD)

Was ist das eigentlich für ein familienpolitisches Signal? Auch der Familienminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat seine Zweifel, ob dies das richtige Signal für die Menschen in unserem Land ist. Was ist das, vor allen Dingen dann, wenn man die Frauenerwerbsquote erhöhen will, für ein Signal für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Was ist das für ein Signal für Familien mit Migrationshintergrund und geschichte, wenn die Kinder zu Hause bleiben und die Eltern dafür einen Geldbetrag erhalten?

Oder ist das vielmehr das Eingeständnis, dass es in Nordrhein-Westfalen – und in der ganzen Bundesrepublik – mit dem Ausbau der Betreuungsinfrastruktur möglicherweise doch nicht so weit her ist und dass man versucht, das zu verbrämen, indem man ein solches Betreuungsgeld zahlt?

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

1,3 Milliarden € werden an der Betreuungsinfrastruktur vorbeigeführt, damit Kinder zu Hause bleiben.

(Beifall von der SPD)

Ich dachte, wir wären auch in diesem Haus in der familienpolitischen Diskussion einen erheblichen Schritt weiter.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

– Ja, Sie können sich da aber nicht rausstehlen, weil unter diesem Koalitionsvertrag unter anderem auch der Name Ihres Parteivorsitzenden steht.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP] – Gegenruf von Hannelore Kraft [SPD])

– Sie haben im Wahlkampf angekündigt, Sie würden beim Betreuungsgeld auf keinen Fall mitmachen. Jetzt sind Sie mit dabei. Das ist Ihre Wahllüge.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Dann stellt sich mir noch einmal die Frage, was Sie für ein Bürgerverständnis haben, wenn es zum Beispiel um diejenigen geht, die im Transferleistungsbezug sind. An der Stelle liest man im Koalitionsvertrag – das soll der große Schritt der FDP gewesen sein –, dass es möglicherweise mit Gutscheinen gehen soll.

Ich sage ganz ehrlich: Das ist eine doppelte Stigmatisierung: Wenn Kinder in Bedarfsgemeinschaften leben, wird das Betreuungsgeld nur ausgezahlt. Wenn sie ihre Kinder zu Hause behalten und im Transferleistungsbezug sind, dann bekommen sie Gutscheine.

(Christian Lindner [FDP]: Nein, nein!)

Mein lieber Herr Gesangsverein! Da fragen Sie, was wir für ein Bürgerverständnis haben?

(Beifall von der SPD)

Ich kann nur sagen: Was haben Sie denn für ein Bürgerverständnis?

(Christian Lindner [FDP]: Aber das ist ein Vorschlag von Frau Merkel!)

– Ja, Herr Lindner, aber Sie sind jetzt in einer Koalition, und da können Sie nicht mehr so einfach heraus. Die Zeiten ändern sich.

(Gisela Walsken [SPD]: Ja!)

Bei einem anderen Punkt, der Ihr Bürgerverständnis betrifft, geht es um die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Hartz-IV-Empfänger. Da kann man sicherlich sagen: „Das ist ein ganz großer Schritt, den wir an der Stelle gemacht haben“, aber in der Zwischenzeit wird deutlich, was Sie damit eigentlich bezwecken.

Es geht Ihnen doch gar nicht darum, tatsächlich etwas für die Menschen, die im SGB-II-Bezug sind, zu ändern. Sie wollen eine Ausweitung des Aufstockens, weil Sie das für einen durchaus vernünftigen Weg halten. Sie glauben tatsächlich – das wird in der Zwischenzeit insbesondere durch Beiträge von Mitgliedern der FDP-Bundestagsfraktion deutlich –, dass auf diese Art und Weise auch das Thema „Erhöhung des tatsächlichen Renteneinstiegalters“ erledigt werden kann, indem man Rente wieder ab einem Alter von 60, 62 oder 63 Jahren bekommt und dann aufstocken oder hinzuverdienen kann. – An der Stelle ist man als verantwortliche Politik dann fein heraus.

An die Kollegen von der CDU-Fraktion gerichtet kann ich nur appellieren: Passen Sie schön auf, dass Ihnen da nicht das Wasser abgegraben wird.

(Beifall von der SPD)

Ich kann nur sagen: Angesichts dieses Koalitionsvertrages freue ich mich auf den Landtagswahlkampf. Das werden muntere Diskussionen.

Ich sage Ihnen: Wenn die FDP weiterhin so wie Frau Freimuth auftritt, bin ich absolut sicher, dass es eine Menge Möglichkeiten gibt, den Bürgerinnen und Bürgern zu verdeutlichen, welcher Geist tatsächlich in diesem Land herrscht. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der SPD)