
"Mit der Behauptung von Minister Laschet, NRW bekomme nun das modernste Kindergartengesetz in Deutschland, werden zum großen Teil selbstverständliche Ansätze in der frühkindlichen Bildung zur Innovation hochgejubelt", kritisierte die Essener Landtagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Britta Altenkamp, den Mitte März vorgelegten Referentenentwurf des "Gesetzes zur frühen Bildung und Förderung von Kindern (Kinderbildungsgesetz – KiBiz)". Damit erweise sich diese Landesregierung und Minister Laschet einmal mehr als Meister der Symbolpolitik, während der Gesetzentwurf tatsächlich einen Abbau der Qualität bedeutet, das Wahlrecht der Eltern einschränkt und der Stadt Essen ein höheres Planungsrisiko zuweist.
Mit seiner ausschließlichen Konzentration auf die Sprachförderung falle das Gesetz damit weit hinter die Bildungsvereinbarung von 2003 zurück und erwecke außerdem den Eindruck, als ob die Sprachförderung als solche neu wäre. "Neu ist lediglich der landesweite Test für alle Vierjährigen, welcher in einem höchst fragwürdigen Verfahren durch gedrückt worden ist", erklärte Britta Altenkamp. Fest steht für die SPD-Politikerin, dass die konkreten Ausformulierungen im Gesetz teilweise weit hinter die Vereinbarungen des Konsenspapiers vom 26. Februar 2007 zurückfallen. Dies ist auch schon in ersten Stellungnahmen seitens einiger Verbände deutlich gemacht worden:
1. Das neue Kindergartengesetz schränkt die Wahlfreiheit der Eltern ein, weil sie sich in Zukunft nicht mehr beim Kindergarten ihrer Wahl um einen Kindergartenplatz bemühen können, sondern sechs Monate vor Beginn des Kindergartenjahres bei der Stadt ihren Bedarf anmelden müssen.
Gleichzeitig bleibt es bei Elternbeiträgen von 19 %. Ein Elternbeitragsdefizitausgleich für die Stadt Essen mit ihrer Haushaltsnotlage ist nicht vorgesehen. Dies ist vor dem Hintergrund der Diskussionen zum Haushalt 2006/2007 völlig unverständlich und wird dazu führen, dass der chancengerechte Zugang zur frühkindlichen Bildung in Kindertageseinrichtungen vom Geldbeutel der Eltern und der Kassenlage der Stadt Essen abhängt.
2. Die verschiedenen Gruppentypen und vor allem die Öffnungszeiten in den Gruppen werden landesweit kontingentiert und entsprechen damit überhaupt nicht dem Bedarf. Dadurch wird die Wahlfreiheit der Eltern weiter eingeschränkt.
Gruppenform I: Kinder im Alter von 2 Jahren bis zur Einschulung
Kinderzahl/Wöchentliche Betreuungszeit/Kindpauschale in EUR
a 20 Kinder 25 Stunden 4.288,70
b 20 Kinder 35 Stunden 5.746,70
c 20 Kinder 45 Stunden 7.369,75
Gruppenform II: Kinder im Alter von unter 3 Jahren
Kinderzahl/Wöchentliche Betreuungszeit/ Kindpauschale in EUR
a 10 Kinder 25 Stunden 8.841,70
b 10 Kinder 35 Stunden 11.863,40
c 10 Kinder 45 Stunden 15.215,20
Gruppenform III: Kinder im Alter von 3 Jahren und älter:
Kinderzahl/Wöchentliche Betreuungszeit/Kindpauschale in EUR
a 25 Kinder 25 Stunden 3.165,24
b 25 Kinder 35 Stunden 4.225,36
c 20 Kinder 45 Stunden 6.771,85
Es ist eine Kontingentierung nach Öffnungszeiten vorgesehen:
Öffnungszeit/Gruppenform I und III / Gruppenform II
25 Stunden 25 % 40 %
35 Stunden 50 % 40 %
45 Stunden 25 % 20 %
3. Der Förderbedarf kleiner Kinder wird in dem neuen Gesetz alleine auf die Frage der Sprachförderung fokussiert. Wo bleiben die sensorischen, motorischen, sozialen, emotionalen, ästhetischen, kognitiven oder mathematischen Entwicklungsbereiche? Darüber hinaus sind die Entwicklung von Selbstbewusstsein, Eigenständigkeit und Identität wichtige Grundlage jedes Bildungsprozesses. All diese Aspekte finden in dem neuen Gesetz überhaupt keine Erwähnung.
Stattdessen wird Sprachförderung für Kindern mit einem Förderbedarf in deutscher Sprache pauschal mit 340 € jährlich finanziert. Das sind 6,54 Euro in der Woche. Völlig offen bleibt dagegen die Form der Sprachförderung: Sie kann in separaten Kursen erfolgen oder integriert in die allgemeine Bildungsarbeit der Kindertageseinrichtungen.
4. Die zukünftige Personalausstattung in den Gruppen führt zu einem deutlichen Qualitätsabbau gegenüber der heutigen Situation. Die finanzielle Unterstützung von Kindertageseinrichtungen setzt eine personelle Mindestausstattung in jeder Gruppe voraus, die aus einer Fachkraft und einer Ergänzungskraft oder einer BerufspraktikantIn besteht.
Die Fort- und Weiterbildung der Erzieherinnen sowie die Qualitätssicherung liegen in der Verantwortung der Träger. Eine besondere finanzielle Förderung ist dafür nicht vorgesehen und in den o.g. Gruppenpauschalen enthalten. Es reicht aber nicht, die Aufgabenstellung der Fortbildung und Evaluation zu benennen. Es müssen auch entsprechende Förderprogramme zur Verfügung stehen.
5. Der Trägeranteil der kirchlichen Träger wird abgesenkt auf 12 %. Für arme Träger bleibt der Trägeranteil bei 9 %. Für Elterninitiativen und sehr arme Träger bleibt der Trägeranteil bei 4 %. Das Land übernimmt 75 % der Kosten der Absenkung der kirchlichen Trägeranteile, 25 % entfallen auf die Kommunen.
Die Kosten in Höhe von ca. 84 Mio. Euro für die Absenkung des kirchlichen Trägeranteils fressen den größten Teil der in Aussicht gestellten Erhöhung der Mittel für das neue Kindergartengesetz auf.
6. Mit dem KiBiz verbunden ist die Enteignung der Träger um die bisher gebildeten Rücklagen für Reparaturen und Erneuerungsbedarf. Die vorhandenen Rücklagen, die die Träger nach dem alten Gesetz verpflichtend bilden mussten, werden bei der ersten Zahlung der Zuschüsse nach dem KiBiz verrechnet. Die Träger sind gehalten, die Rücklagen zukünftig aus den Gruppenpauschalen zu bilden. Dies ist eine Regelung, die an keiner Stelle dem Konsenspapier zu entnehmen war und eine erneute Sparmaßnahme des Landes bei den Kindertageseinrichtungen darstellt.
Die Landesregierung lässt in dem "Gesetz zur frühen Bildung und Förderung von Kindern – Kinderbildungsgesetz (KiBiz)" erkennen, dass die U3-Betreuung in erster Linie durch eine Umverteilung im System erzielt werden soll. Die zusätzlich vorgesehenen Mittel werden zum größten Teil von der Absenkung der kirchlichen Trägeranteile aufgezehrt.
Verlierer des Gesetzes sind die Kinder und Eltern, weil die Qualität nicht verbessert wird und der geplante Ausbau der U3-Plätze noch immer hinter dem Bedarf zurückbleiben wird.
Verlierer ist in Zukunft die Stadt Essen, weil sie den wachsenden Erwartungen der Eltern ausgesetzt ist, ohne eine angemessene Finanzierung der zusätzlichen Aufgaben zu bekommen. Besonders trifft es die Stadt Essen mit ihren schwierigen Sozialräumen. Denn durch eine einheitliche Pauschale für das ganze Land profitieren gutsituierte Städte und Gemeinden von einer anteiligen Einbeziehung sozialer Fördertatbestände, während eine belastete Kommune wie Essen in Zukunft weniger Geld erhalten wird.
Die Förderung von besonderen Bedarfen ist fokussiert auf die Sprachförderung und stellt damit eine fachliche Verengung gegenüber dem GTK dar, dass auch die Förderung von Einrichtungen in schwierigen Sozialräumen vorsah.
Die Träger haben in Zukunft eine erhebliche Planungsunsicherheit, weil die zukünftige Finanzierung im wesentlichen von der Nachfrage der Eltern abhängt und dieses Nachfrageverhalten auf Grund noch fehlender Erfahrungen und der Höhe der Elternbeiträge nicht abgeschätzt werden kann. Darüber hinaus sehen sie sich der Anforderung ausgesetzt, zusätzliche pädagogische Arbeit für Sprachförderung, Schutz vor Kindeswohlgefährdung oder einem verstärkten Bildungsauftrag zu leisten, während gleichzeitig die Personalausstattung in den Einrichtungen reduziert wird. Unter dem Strich bekommen die Kindergärten also nicht mehr Geld, sondern einen Haufen neuer Aufgaben.